Konflikte mit einem Mitarbeiter – Fallbeispiel

Seit mehreren Wochen beobachtet Frau Weber ihre Mitarbeiterin Sabine, die sich komplett anders verhält als sonst. Früher hat sie sie morgens mit einem strahlenden Lächeln begrüßt; ihre positive Ausstrahlung hat für gute Stimmung im Team gesorgt.
Jetzt  hat sich zurück gezogen; lächelt kaum noch und Frau Weber hat den Eindruck, dass sie nur noch Dienst nach Vorschrift macht. Wenn Frau Weber genau nachdenkt, gefährdet sie sogar den Projekterfolg durch ihre langsame und fehlerhafte Arbeit. So langsam werden auch die KollegInnen ungeduldig. Erste negative Bemerkungen fallen bereits: „Na, ob Sabine dieses Mal die Daten pünktlich liefert?“

Als Führungskraft spürt Frau Weber, dass es höchste Zeit ist einzugreifen. Eigentlich denkt sie: Das sind doch alles erwachsene Menschen. Die sollten ihre Konflikte doch selbst lösen können. Mit ihrer bisherigen Denkweise zu hoffen, dass sich Konflikte von selbst lösen, ist sie beim letzten Mal ziemlich schlecht gefahren. Der damalige Konflikt ist richtig eskaliert. Die Folge war, dass die Mitarbeiterin sich gemobbt gefühlt hat und gegangen ist.

Frau Weber ist unsicher: spreche ich Sabine direkt darauf an? Wie finde ich die richtigen Worte? Soll ich sie direkt mit der Fehlleistung konfrontieren? Sie hat Angst davor, dass Sabine anfängt zu weinen und die Stimmung weiter kippen könnte. Der Druck wächst; sie schläft nachts schon schlecht und morgens schleppt sie sich mit Sorge zur Arbeit. Die Teamstimmung wird immer schlechter. Diese Folgen sind ihr jetzt zu hoch und sie entscheidet sich für ein Coaching.

Ihr Ziel ist es, solche Verhaltens-Situationen professionell ansprechen zu können. Frau Weber will ihre Gefühle im Griff haben und souverän zur Konfliktklärung beitragen. Auch in Projektmeetings nerven Sie die langen nervenzehrenden Diskussionen, die häufig von Vorwürfen und spitzen Bemerkungen geprägt sind. Und last but not least: Sie wünscht sich die „alte“ Sabine wieder zurück.

Die Analyse

Im Coaching versetzen wir uns in eine Art Film-Sequenz. Wie sah der Film vor dem veränderten Verhalten von Sabine aus? Und ab wann genau war es anders? Wir schauen in Zeitlupe auf Situationen und vermutete Anlässe. Ihr fällt auf, das der Zeitpunkt der Veränderung mit der Urlaubsplanung zusammenhängen könnte. Frau Weber war ziemlich im Stress und Sabine hatte einen Urlaubsantrag gestellt, den sie nicht genehmigen konnte, weil das Team gerade in eine heiße Projektphase eingetreten war. Sie hat es damit begründet und ist davon ausgegangen, dass damit das Thema erledigt sei. Wenn Frau Weber genau nachdenkst, fällt ihr eine spitze Bemerkung aus dem letzten Teammeeting von ihr ein: „Na ja, hier werden ja Entscheidungen je nach Laune gefällt!“

Könnte der abgelehnte Urlaubsantrag ein Anlass für das veränderte Verhalten sein?

Werte und Bedürfnisse

Im Coaching steigen wir in das Thema  Bedürfnisse und Werte ein. Jeder Mensch hat die gleichen Bedürfnisse, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Werte stehen für moralisch für gut betrachtete Eigenschaften oder Qualitäten. Welches Bedürfnis/welcher Wert könnte nicht erfüllt worden sein? Der Wunsch nach „Gerechtigkeit“ triggert sie positiv an. „Ja, vielleicht fühlt sie sich ungerecht behandelt! Nun, das ist nun einmal so, ich muss als Führungskraft auch einmal unliebsame Entscheidungen treffen. Ich kann ja nicht jedem nach der Pfeife tanzen! Der Projekterfolg geht vor!“
Ich frage: Haben Sie bei Sabine beobachtet, dass ihr der Wert Gerechtigkeit sehr wichtig ist?

Frau Weber denkt nach und sagst: „Oh ja, stimmt! Sabine setzt sich auch in der Zusammenarbeit mit dem anderen Projektteam sehr für Gerechtigkeit ein.“

Nach einer Pause grinst Frau Weber etwas: „Jetzt fällt mir ein Stein vom Herzen – jetzt weiß ich, wie ich das Gespräch mit Sabine beginnen kann!“

Die Praxis

Wir proben das Gespräch und lassen es ebenfalls zu, dass wir uns auch irren können; wir eine falsche Annahme getroffen haben. Oder noch nicht genau das treffende Bedürfnis gefunden haben. Frau Weber ist trotzdem entspannt, da sie im Gespräch erkennen lässt, dass sie sich intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt hat. Sabine wird darin Respekt und Wertschätzung erkennen und sich höchst wahrscheinlich für ihr eingeschlossenes Problem öffnen. Frau Weber lernt, wie sie sachlich und konstruktiv das unerwünschte Verhalten ansprechen kann. Sie hat konkrete Beispiele parat und verallgemeinert nicht. Ferner beschreibt sie konkret das gewünschte Verhalten. Dabei helfen ihr folgende Selbstreflektions-Fragen:

  1. Was habe ich erwartet? (Soll-Zustand)
  2. Was habe ich (möglichst neutral) beobachtet; bzw. wahrgenommen, was die Mitarbeiterin geliefert hat? (Ist-Zustand)

Ebenso üben wir das aktive Hinhören (nicht Zuhören, da dabei die Ohren verschlossen sind ;-))

Für manche Menschen wird dieses Bedürfnis Gerechtigkeit zu einer Art Lebensmodell. Sie fühlen sich meist ein Leben lang als „Hüter der Gerechtigkeit“. Sie kämpfen für die eigenen Rechte oder setzen sich für die Rechte von Unterdrückten ein. Dann werden aus Kolleginnen plötzlich „Amazonen“ und aus Kollegen echte „Krieger“.

Dieser stark ausgeprägte Gerechtigkeitssinn hat in der Praxis einen Gewinn, jedoch auch einen Preis. Richtig frei wird dieser Mensch erst, wenn er lernt, sein Verhalten in wirksames und unwirksames Verhalten einzuordnen. Also wann hat der ausgeprägte Gerechtigkeitssinn für mich und die meine Mitmenschen überwiegend Vorteile? Und ab wann kann er als übertriebenes Bedürfnis für sich selbst oder andere, echte Nachteile bringen?

Sabine ist weit davon entfernt, so einen ausgeprägten Persönlichkeitsanteil zu haben. Im Gespräch mit ihrer Chefin kann sie sich endlich den aufgestauten Frust von der Seele reden. Beide vereinbaren, dass sie sich zukünftig mehr Zeit für solche Gespräche nehmen und Frust und Missverständnisse so schnell wie möglich ansprechen, damit sie nicht wieder zu Rückzug und Minderleistung führen. Sabine lernt, dass es 100%ige Gerechtigkeit nicht gibt.

Hast Du ebenfalls unproduktive Konflikte im Team, dann klicke unten auf den Link und vereinbare Dein persönliches Erstgespräch.

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