Stärken lesen – 4 Impulse für dich und dein Team
Defizitorientiertes Denken
ist den meisten Menschen schon aus der Schulzeit heraus bekannt. Dieses System
hat uns schon früh gezeigt, dass es wichtiger ist, auf Defizite zu achten und
diese auszugleichen als auf unsere Stärken zu schauen. Wen wundert es, dass es
auch im Berufsalltag häufig vorkommt, dass diese Gedanken- und Verhaltensmuster
in Teams vorherrschen.
Wenn ich meine Klienten
bitte, ihre fünf größten Stärken zu benennen, kommen häufig ein Aufstöhnen,
eine Pause und dann eine Aufzählung von maximal drei Stärken. „Mein Kollege hat
mir mal gesagt, dass ich wunderbar zuhören kann…“
1. Beschreibe deine Stärken
konkret
Würdest du dich als analytisch beschreiben? Als zuverlässig und pünktlich,
sowie kommunikationsstark?
Dann gehörst du zu vielen Menschen, die gern pauschale Vokabeln nutzen, je nach
Branche oder Sicht aus der Unternehmensbrille.
Es wäre auch paradox, wenn ein Vertriebler bei sich nicht die Fähigkeit eines
guten Kommunikators entdecken würde. Oder eine Führungskraft aus der
Buchhaltung nicht ein Talent und Gespür für Zahlen hätte.
Das liegt an der Verfügbarkeitsheuristik: Wir erinnern
uns leichter an Begriffe, die uns vertraut sind
und die wir oft hören oder gehört haben. Wie z.B. Teamplayer, den wir
aus Stellenanzeigen oder dem Vorstellungsgespräch kennen.
Kommunikationsstark
ist ebenfalls sehr beliebt, aber was heißt das genau für dich? Bitte halte kurz
inne und interpretiere diese Stärke…
Was ist bei dir herausgekommen: Zuhören können? Reden
können? Gern Reden? Auf den anderen eingehen? Worte finden?
Du siehst, es macht Sinn, diese Stärke genauer zu beschreiben.
Meist ist die Selbsteinschätzung recht ungenau. Vielleicht liegt dem
Analytiker das Lösen von kniffligen Aufgaben besonders am Herzen. Kolleg:innen
kommen gern auf ihn zu, wenn es schwierig wird. Er mag diese Herausforderung;
sie strengt ihn wenig an. Möglicherweise hilft ihm seine Fähigkeit, das Problem
einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten, er geht gern in die
Hubschrauber-Perspektive und erkennt dadurch Zusammenhänge besser.
Dann wäre die Aussage: „Ich löse gern knifflige Aufgaben. Dabei hilft mir,
dass ich gern in die Hubschrauber-Perspektive gehe. Da erkenne ich leicht
Muster, so dass ich schnell Lösungsideen entwickeln kann.“ – wesentlich spezifischer.
Stärken sind erkennbar durch die Unterscheidung von anderen; sie sind die
Übertreibung von etwas Normalem. Also jemand kann leicht Muster erkennen –
besser als die Menschen in seinem Umfeld.
Wie kann ich mehr über meine Stärken erfahren?
Zwei hilfreiche Methoden sind zum einen das Einholen von Feedback von anderen und
zum anderen Fragestellungen:
Was unterscheidet meine Mitarbeiter:innen oder mich von anderen, die ähnliche
Aufgaben haben? Was genau hilft Probleme erfolgreich zu lösen?
2. Integriere die andere Seite deiner Stärke
Entdeckst du bei dir, dass du „sehr“ – sehr genau, sehr analytisch bist?
Stärken können auch ins Extreme gehen und damit zu einer Schwäche werden:
Wer extrem genau ist, bekommt Stress, wenn er keine Zeit bekommt, Prozesse
und Szenarien gründlich zu durchdenken.
Oder du findest nicht den Punkt, an dem du genug Informationen gesammelt
hast und aufhören kannst zu analysieren.
Da sind fachliche Top-Spezialist:innen, die eine Prinzen-/Prinzessinnenrolle im
Unternehmen einnehmen. Die aufblühen, wenn sie als Einzelkämpfer unterwegs
sind, in Teams jedoch kein Wir-Gefühl entwickeln können.
Zuviel des Guten kann dann zu einem Flaschenhals werden; geschäftsschädigend
sein oder andere Kolleg:innen in ihrer Arbeit behindern.
Da sind die zwei Seiten einer Medaille: wer extrem kreativ ist, ist selten
extrem bewahrend und traditionell.
Am anderen Ende der Strukturiertheit liegt Flexibilität. Am anderen Ende
kommunikativer Extravertiertheit liegt distanziert-analytische Introversion.
Jedes Extrem wird dann zur wahren Stärke, wenn die Qualität der jeweils anderen
Seite erkannt und integriert ist. Jemand, der sich nur strukturiert verhält,
wird starr. Jemand, der immer nur flexibel ist, hat keinen Halt. Wer immer nur
kooperationsbereit ist, neigt zu blinder, übertriebener Anpassung.
Eine gesunde Stärke
zeigt sich in der Flexibilität zwischen den Polen. Es gibt zwar eine bevorzugte
Tendenz in eine Richtung, jedoch lautet die Empfehlung, der anderen Seite ebenfalls
Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn du bei dir entdeckst, dass du zu häufig
kooperationsbereit bist, suche dir Situationen, in denen es angemessen wäre,
sich durchzusetzen.
3. Beobachte das, was du sonst übersiehst und deute um
Vielleicht hast du Lust auf ein Experiment mit deinen Mitarbeiter:innen:
Beobachte einmal aus einem anderen, als den gewohnten Blickwinkel: Was hast du
bisher als Schwäche erkannt? Die introvertierte, stille Zurückhaltung deiner
Mitarbeiter:in? Die Unsichtbarkeit in Meetings?
Was genau empfindest du als Mangel und bewertetest es als negativ; vielleicht
bringt dich dieses Verhalten sogar regelmäßig auf die Palme?
Häufig hat diese Wahrnehmung mit dir selbst und deinen eigenen Stärken und
Schwächen in der Führung zu tun.
Deute deine Wahrnehmung dann neu:
hinter introvertierter Zurückhaltung könnte eine gute Beobachtungsgabe stecken;
vielleicht kann die Person sich objektiver eine Meinung bilden oder sie kann
sich gut Details merken.
Und anschließend fragst du dich: Bei
welchen Problemlösungen könnte das helfen?
Die Quasselstrippe im Team, die gern und viel redet, bei welchen Aufgaben
wäre diese Stärke hilfreich? Kann die kommunikationsfreudige Person vielleicht Aufgaben übernehmen wo eine
positive, zugewandte Kommunikation förderlich wäre? Nichts desto trotz ist es
auch hilfreich sich bewusst zu machen, in welchen Situationen Schweigen
angesagt ist.
Meist stecken eigene
Werte hinter dem, was wir als Schwäche wahrnehmen. Indem du deine eigene
Wahrnehmung umdeutest, erweiterst du nicht nur deine Welt-, sondern auch
Stärkensicht. Für dich und andere.
4. Entdecke und entwickle deine Werte, nicht deine Verhaltensmaske/n
Die Managementliteratur lässt uns oft glauben, man könne Menschen wie Affen
im Zirkus dressieren. Doch gewünschtes Verhalten und gelebte Werte stehen sich
nicht selten konträr entgegen. Wenn eine Führungskraft den Wert „Kooperation“
nicht wirklich verinnerlicht hat, wird sie dauerhaft kein kooperatives Verhalten
entwickeln, sondern nur im Moment des Auftritts darüber reden können. Wie der
Affe im Zoo wird der Manager bei Vorträgen und Meetings sozial erwünschte Reden
halten, doch sobald die Tür ins Schloss gefallen ist, kehrt er in die freie
Wildbahn zurück und fährt die Ellenbogen wieder aus.
Frage dich, an was du
wirklich glaubst und wovon du innerlich überzeugt bist. Glaubst du, dass es
sinnvoll ist, immer kooperativ zu sein? Wirklich? Gibt es nicht auch
Situationen, in denen es gut wäre, seine Einzelinteressen durchzusetzen – und
umgekehrt. Hinter Kooperation steht ein Wert, genauso wie hinter den
Einzelinteressen. Reflektierst du diese Werte bewusst, erweiterst du so dein
gedankliches Terrain und vertiefst deine Haltung. Es ist dann oft gar nicht
mehr nötig, Verhalten zu trainieren.
Wenn du ebenfalls Stärken deines Teams lesen lernen und selbst einen Stärken-Workshop mit deinem Team durchführen willst, schreibe eine persönliche Nachricht an: kontakt@beate-gutke.de
Das Training Kompetenzanalyse für Führungskräfte
hilft dir dabei.